Persönlichkeitsstörungen (aus: Psychotherapie von Persönlichkeitsstörungen, Saß/Herperts sowie aus Internationale Klassifikation psychischer Störungen/ ICD-10)
Im psychologischen und psychiatrischen Verständnis bedeutet Persönlichkeit die Summe aller psychischen Eigenschaften und Verhaltensbereitschaften, die dem einzelnen seine eigentümliche, unverwechselbare Individualität verleihen. Das Konstrukt Persönlichkeit bezieht im einzelnen Merkmale des Wahrnehmens, Denkens, Fühlens sowie der interpersonellen Beziehungsgestaltung mit ein. Die Komplexität des Persönlichkeitsbegriffs legt nahe, dass es einen großen Normalbereich variierender Persönlichkeitseigenschaften gibt, von dem die psychiatrisch relevant werdenden Persönlichkeitsstörungen abgegrenzt werden müssen. In den gebräuchlichen Klassifikationssystemen DSM-IV und ICD-10 wird versucht, wertneutrale allgemeine Definitionen von Persönlichkeitsstörungen vorzugeben. Danach liegt eine Persönlichkeitsstörung dann vor, wenn Persönlichkeitszüge starr und wenig angepasst sind und zu persönlichem Leiden und/oder gestörter sozialer Funktionsfähigkeit führen.
Die Persönlichkeitsstörungen in ICD-10 (Internationale Klassifikation der Krankheiten der Weltgesundheitsorganisation)
- Paranoide Persönlichkeitsstörung F 60.0
- Schizoide Persönlichkeitsstörung F 60.1
- Dissoziale Persönlichkeitsstörung F 60.2
- Emotional instabile Persönlichkeitsstörung F 60.3 x Borderline Typ F 60.31 x Impulsiver Typ F 60.30
- Histrionische Persönlichkeitsstörung F 60.4
- Anankastische (zwanghafte) Persönlichkeitsstörung F. 60.5
- Ängstliche (vermeidende) Persönlichkeitsstörung F 60.6
- Abhängige Persönlichkeitsstörung F 60.7
- Narzißtische Persönlichkeitsstörung (wird in der ICD-10 nicht gesondert aufgeführt)
Merkmale:
Paranoide Persönlichkeitsstörung Hauptmerkmal ist ein ausgeprägte Misstrauen verbunden mit der durchgängigen und ungerechtfertigten Tendenz, die Motive anderer als böswillig und feindselig auszulegen. Der übermäßige Argwohn von Menschen mit paranoider Persönlichkeitsstörung bezieht sich auf die Loyalität oder Glaubwürdigkeit ihrer Freunde und Partner, aber auch auf harmlose Bemerkungen oder unbedeutendes Verhalten anderer Personen, mit denen sie in Kontakt geraten. Auf empfundene Verletzungen reagieren sie rasch mit Gegenangriffen und/oder mit lang anhaltenden Feindseligkeiten. Typische Denkschemata sind: ?Ich kann niemandem vertrauen?, ?Andere versuchen mich zu manipulieren oder auszunutzen?, ?Andere Menschen wollen mich erniedrigen oder verärgern?. Bei Menschen mit paranoider Persönlichkeitsstörung entsteht häufig ein durchaus realer Teufelskreis selbsterfüllter Prophezeiungen, denn das anhaltende Misstrauen führt leicht dazu, dass tatsächlich Informationen vor ihnen zurückgehalten oder dass sie tatsächlich abgelehnt werden, was den Argwohn der Betroffenen scheinbar bestätigt. Bei der paranoiden Persönlichkeitsstörung könne in Zeiten vermehrter Belastung kurze, Minuten bis Stunden dauernde, vorübergehende psychotische Episoden auftreten.
Schizoide Persönlichkeitsstörung Hauptmerkmal sind Gleichgültigkeit und Zurückhaltung im zwischenmenschlichen Kontakt, Einzelgängertum sowie eingeschränkte emotionale Erlebnis- und Ausdrucksfähigkeit (emotionale Kühle, Distanziertheit oder flache Affektivität, geringe Fähigkeit, warme, zärtliche Gefühle oder auch Ärger anderen gegenüber zu zeigen). Menschen mit schizoider Persönlichkeitsstörung sind scheu, verschlossen und erscheinen gleichgültig gegenüber Bekundungen von Lob und Kritik. Wenige oder überhaupt keine Tätigkeiten bereiten Vergnügen. Typische Denkschemata sind: ?Es geht mir besser, wenn ich alleine bin?, ?Beziehungen bringen Verwirrung mit sich?, ?Was andere über mich denken, ist mir gleichgültig?. Bei der schizoiden Persönlichkeitsstörung können unter Belastung kurze, vorübergehende psychotische Episoden auftreten.
Dissoziale Persönlichkeitsstörung (auch als Soziopathie bezeichnet) Hauptmerkmal ist die dauerhafte und tiefgreifende Neigung, die Rechte anderer zu verletzen und zu missachten. Charakterliche Besonderheiten sind geringe Introspektion und Selbstkritik, Mangel an Empathie, Gefühlskälte, Egozentrizität, überhöhter Anspruch, paradoxe Anpassungserwartung und Unter- bzw. Fehlbesetzung sozialer Normen. Ferner finden sich Merkmale wie Impulsivität, Unzuverlässigkeit, Bindungsschwäche sowie ein Mangel an Schuldgefühlen. Typische Denkschemata sind: ?Andere Menschen sind schwach und verdienen es, dass man sie ausbeutet?, ?Wenn ich etwas haben möchte, sollte ich alles Erforderliche tun, um es zu bekommen?, ?Der Stärkste überlebt?. Bei der dissozialen Persönlichkeitsstörung entstehen oft zusätzlich gesundheitliche und soziale Probleme durch den gleichzeitigen Missbrauch von Alkohol und Drogen. Auch depressive Störungen treten häufig auf, die in Zusammenhang mit innerer Anspannung und einer Unfähigkeit, Langeweile zu ertragen, stehen.
Emotional instabile Persönlichkeitsstörung Eine Persönlichkeitsstörung mit deutlicher Tendenz, impulsiv zu handeln ohne Berücksichtigung von Konsequenzen, und mit wechselnder, instabiler Stimmung. Die Fähigkeit, vorauszuplanen, ist gering und Ausbrüche intensiven Ärgers können zu oft gewalttätigem und explosiblem Verhalten führen; dieses Verhalten wird leicht ausgelöst, wenn impulsive Handlungen von anderen kritisiert oder behindert werden.
Zwei Erscheinungsformen dieser Persönlichkeitsstörung werden näher beschrieben: - impulsiver Typus Impulsivität und mangelnde Selbstkontrolle, emotionale Instabilität und mangelnde Impulskontrolle. Ausbrüche von gewalttätigem und bedrohlichem Verhalten sind häufig, vor allem bei Kritik durch andere. - Borderline Typus Die Borderline-Persönlichkeitsstörung zeichnet sich durch eine mangelhafte Impulskontrolle und eine tiefgreifende affektive Instabilität aus, die erhebliche Schwankungen des Selbstbildes und in der Intensität zwischenmenschlicher Beziehungen einschließt. An typischen Verhaltensmerkmalen sind neben unangemessener Wut und aggressiven Durchbrüchen unter emotionaler Belastung auch autoaggressive Impulse und Handlungen bis hin zu drastischen Selbstverletzung- und parasuizidalem Verhalten zu nennen. Es bestehen chronische Gefühle von Leere sowie des sich Zurückgewiesen- und Verlassenfühlens.
Histrionische Persönlichkeitsstörung Hauptmerkmale sind eine hohe Abhängigkeit von äußerer Aufmerksamkeit, Bestätigung und Anerkennung, Suggestibilität und eine Neigung zu affektiver Labilität und Oberflächlichkeit. Histrionische Persönlichkeiten haben ein Gespür für Atmosphäre aber auch einen Hang zur Dramatisierung, Unechtheit und Koketterie. Sie zeigen einen Mangel an gleichmäßig durchgehaltenen Zielen und Wertorientierungen mit der Folge von Unbeständigkeit insbesondere im zwischenmenschlichen und partnerschaftlichen Bereich. Die Verhaltensweisen zielen darauf ab, anders zu erscheinen, als sie sind. Typische Denkschemata sind: ?Wenn andere mich nicht mögen oder bewundern, bin ich ein Nichts?, ?Ich bekomme das, was ich möchte, wenn ich die anderen blende oder amüsiere.?
Anankastische (zwanghafte) Persönlichkeitsstörung Hauptmerkmale sind die Gewissenhaftigkeit, Perfektionismus, Inflexibilität, Solidität und Normentreue, die so überwertig ist,, dass sowohl die berufliche Produktivität als auch die zwischenmenschlichen Beziehungen darunter leiden. Strenge, Ernsthaftigkeit und Rigidität kennzeichnen nämlich nicht nur den Umgang mit sich selbst, sondern auch mit anderen Menschen. Die eigenen starren, moralisch anspruchsvollen und prinzipientreuen Verhaltensmuster werden eigensinnig vertreten und den Bezugspersonen aufgenötigt. Gefühle, sowohl eigene als auch die anderer Menschen, Humor und Freude erscheinen suspekt und bedrohlich. Der Mensch, das leben und die Welt werden negativ gesehen, der Sinn des Daseins ist Mühe, Anstrengung und Pflichterfüllung. Typische Denkmuster sind: ??Wenn ich mich nicht hundertprozentig an meine Prinzipien halte, versinke ich im Chaos?, ?Die Welt ist schmutzig und konfus, nur bei mir ist alles sauber und ordentlich?, ?Ich muss meine Gefühle vollkommen unter Kontrolle haben?. (Achtung: Nicht mit Zwangsstörung verwechseln!)
Ängstliche (vermeidende) Persönlichkeitsstörung Diese Persönlichkeitsstörung zeichnet sich durch eine große Angst vor Zurückweisung und Ablehnung aus sowie durch ein ständiges Bemühen, unangenehme Gefühle und Situationen, in denen solche auftreten, zu vermeiden. Trotz des großen Wunsches nach Zuwendung verhindern diese Menschen so die Anknüpfung sozialer Beziehungen, sind unsicher, schüchtern, angespannt, ängstlich. Ihre Minderwertigkeitsgefühle im sozialen Kontakt führen zu einer gravierenden Einschränkung der sozialen Kompetenz. Typische Denkmuster sind: ?Ich sollte Situationen, in denen ich Aufmerksamkeit errege, aus dem Wege gehen und möglichst unauffällig sein?, ?Die unangenehmen Gefühle werden zunehmen und außer Kontrolle geraten?, ?Es wäre unerträglich, wenn man meine Unsicherheit bloßlegen würde?.
Abhängige (dependente) Persönlichkeitsstörung Hauptmerkmal ist ein Gefühl der Unfähigkeit, das eigene Leben selbständig zu führen. Vor dem Hintergrund der Selbsteinschätzung als hilflos und schwach wird in allen Lebenssituationen Unterstützung durch andere, insbesondere den Partner, gebraucht. Menschen mit dieser Persönlichkeitsstörung sind nur wenig bereit, Selbstverantwortung zu übernehmen. In Zweierbeziehungen besteht eine ständige Angst vor Verlust und Alleingelassenwerden verbunden mit dem Bemühen um Anpassung und Nachgiebigkeit. Typische Denkmuster sind: ?Ich bin hilflos, wenn ich mir selbst überlassen werde?, ?Ich kann keine eigenen Entscheidungen treffen?, ?Ich darf nichts tun, was meinen Unterstützer und Helfer kränken könnte?.
Narzißtische Persönlichkeitsstörung Menschen, die vor dem Hintergrund eines brüchigen Selbstwertgefühls auf der einen Seite zu Gefühlen von Großartigkeit, Überlegenheit und Verachtung anderer neigen, auf der anderen Seite aber in hohem Maße kränkbar und verletzlich sind.. Menschen mit narzißtischer Persönlichkeitsstörung neigen dazu, andere unbewusst auszubeuten, wobei sie glauben, dass ihnen aufgrund ihrer besonderen Qualitäten und Fähigkeiten auch eine besondere Behandlung zusteht. Es besteht eine hohe Anspruchshaltung, ein Mangel an Empathie und ein starkes Bedürfnis nach Anerkennung und Bewunderung. Die ausgeprägte Kränkbarkeit kann zu depressiven Krisen mit Selbstschädigungen und Suizidalität führen. Typische Denkmuster sind: ?Niemand hat das Recht, mich zu kritisieren?, ?Da ich anderen überlegen bin, hab ich auch das Recht auf besondere Behandlung und Privilegien?.
Unter Stalking (deutsch: Nachstellung) wird im Sprachgebrauch das willentliche und wiederholte (beharrliche) Verfolgen oder Belästigen einer Person verstanden. Mögliche Motivation oder Ursachen von stalking: Rachsucht, Demütigung, intellektuelle Retadiertheit, Erotomanie, Morbidität, Sadismus.