Am Anfang war ich eine Person, die nichts kannte als ihre eigene Erfahrung.
Dann erzählte man mir etwas, und ich wurde zwei Personen: das kleine Mädchen, das sagte, wie schrecklich es sei, daß die Jungen auf dem Grundstück nebenan ein Feuer machten, an dem sie Äpfel brieten (das war das, was die Frauen sagten) - und das kleine Mädchen, das hinauslief, wenn die Jungen von ihren Müttern gerufen wurden, um einkaufen zu gehen, und das Feuer und die Äpfel hütete, weil es das gerne tat.
Da gab es also zwei Ich's.
Das eine Ich tat immer etwas, das das andere Ich mißbilligte. Oder das andere Ich sagte etwas, das ich mißbilligte. So viel Streit in mir!
Am Anfang war Ich, und Ich war gut.
Dann trat das andere Ich auf den Plan. Die Autorität von außen. Dies war verwirrend. Und dann wurde das andere Ich sehr verwirrt, weil es so viele verschiedene äußere Autoritäten gab.
Sitz ordentlich! Geh aus dem Zimmer, um dir die Nase zu putzen! Tu das nicht, das ist albern! Nein, das arme Kind weiß nicht einmal, wie man einen Knochen abknabbert! Zieh nachts auf der Toilette ab, denn wenn du es nicht tust, ist es schwerer, sie zu reinigen! Zieh nachts nicht ab - du weckst die anderen auf! Sei immer nett zu den Leuten; selbst, wenn du sie nicht magst, darfst du ihre Gefühle nicht verletzten! Sei offen und ehrlich; wenn du den Leuten nicht sagst, was du über sie denkst, ist das feige! Buttermesser: Es ist wichtig, Buttermesser zu benützen. Buttermesser? Was für ein Unfug! Sprich ordentlich! Blöde Ziege! Kipling ist wunderbar! Ah! Kipling (dreht sich weg).
Das Wichtigste ist es, Karriere zu machen. Das Wichtigste ist, zu heiraten. Zum Teufel mit den anderen. Sei nett zu den anderen. Das Wichtigste ist Sex. Das Wichtigste ist, Geld auf dem Konto zu haben. Das Wichtigste ist, daß dich jeder mag. Das Wichtigste ist, sich gut anzuziehen. Das Wichtigste ist, weltmännisch zu sein und zu sagen, was du nicht meinst, und niemanden wissen zu lassen, was du fühlst. Das Wichtigste ist, jedem voraus zu sein. Das Wichtigste ist, einen schwarzen Seehundmantel und Geschirr und Silber zu haben. Das Wichtigste ist, sauber zu sein. Das Wichtigste ist, immer seine Schulden zu bezahlen. Das Wichtigste ist, von niemand anderem hereingelegt zu werden. Das Wichtigste ist, seine Eltern zu lieben. Das Wichtigste ist, zu arbeiten. Das Wichtigste ist, unabhängig zu sein. Das Wichtigste ist, korrektes Deutsch zu sprechen. Das Wichtigste ist, seinem Ehemann gegenüber pflichtbewußt zu sein. Das Wichtigste ist, darauf zu achten, daß deine Kinder sich gut benehmen. Das Wichtigste ist, sich die richtigen Theaterstücke anzusehen und die richtigen Bücher zu lesen. Das Wichtigste ist, das zu tun, was andere sagen. Und andere sagen all diese Sachen.
Die ganze Zeit über sagte Ich: lebe das Leben; das ist es, was wichtig ist.
Aber wenn Ich das Leben lebt, sagt das andere Ich: nein, das ist schlecht. All die verschiedenen anderen Ichs sagen das. Es ist gefährlich. Es ist nicht praktisch. Du wirst ein schlimmes Ende nehmen. Natürlich ? jeder hat sich schon mal so gefühlt wie du, aber du wirst es noch lernen!
Aus all den anderen Ichs werden einige für das Muster gewählt, das mich ausmacht. Aber es gibt all die anderen Rastermöglichkeiten in dem, was all die anderen sagen, die in mich hinein kommen und das andere Ich werden, das nicht ich selbst ist, und manchmal werden diese bestimmend. Wer bin ich dann? Ich kümmert sich nicht darum, wer ich bin. Ich ist, und es ist glücklich, zu sein. Aber wenn Ich glücklich ist, sagt das andere Ich: fang an zu arbeiten, mach etwas, mach etwas, das sich lohnt. Ich ist glücklich, Geschirr abzuspülen. »Du bist komisch!« Ich ist glücklich, wenn es mit Leuten zusammen ist und nichts sagt. Das andere Ich sagt: Rede, rede, rede. Ich verliert sich.
Ich weiß, daß man mit Dingen spielen und sie nicht besitzen sollte. Ich liebt es, Dinge mühelos zusammenzufügen, Dinge mühelos auseinanderzunehmen. »Du wirst nie etwas haben!« Dinge aus Dingen machen, so, daß die Dinge selbst daran beteiligt sind, sie zusammenfügen, voll Überraschung und Freude für Ich. »Damit kann man kein Geld verdienen!«
Ich ist menschlich. Wenn jemand bedürftig ist, gibt Ich. »Das kannst du nicht machen! Du wirst nie etwas für dich selbst haben! Wir werden dich unterstützen müssen!«
Ich liebt. Ich liebt auf eine Art, die das andere Ich nicht kennt. Ich liebt. »Das ist zu eng für Freunde!« - »Das ist zu kühl für Liebende!« - »Mach dir nicht so viele Gedanken, er ist nur ein Freund. Es ist ja nicht so, als ob du ihn liebtest.« - »Wie kannst du ihn gehen lassen? Ich dachte, du liebtest ihn?« Kühl' also die Wärme für Freunde ab und erhitze die Liebe für Geliebte, und Ich geht verloren.
Beide Ichs haben also ein Haus und einen Mann und Kinder und all das, und Freunde und Ansehen und all das, und Sicherheit und all das, aber beide Ichs sind verwirrt, weil das andere Ich sagt: »Siehst du? Du hast Glück«, während Ich weiter weint. »Worüber weinst du? Warum bist du so undankbar?« Ich kennt keine Dankbarkeit oder Undankbarkeit und kann nicht streiten, Ich weint weiter. Das andere Ich stößt es hinaus, sagt: »Ich bin glücklich! Ich habe sehr viel Glück, solch eine nette Familie zu haben, und ein hübsches Haus und gute Nachbarn und eine Menge Freunde, die möchten, daß ich dies oder das tue.« Ich ist auch nicht zur Vernunft zu bringen. Ich weint weiter.
Das andere Ich wird müde und lächelt immer noch, weil man genau das tun soll. Lächle, und man wird dich belohnen. Wie der Seehund, dem ein Stück Fisch zugeworfen wird. Sei nett zu jedermann, und man wird dich belohnen. Die Leute werden nett zu dir sein, und damit kannst du glücklich sein. Du weißt, daß sie dich mögen. Wie ein Hund, dem man den Kopf tätschelt wegen seines guten Betragens. Erzähl' witzige Geschichten. Sei lustig. Lächle, lächle, lächle ? Ich weint? »Bemitleide dich nicht selbst! Geh' raus und tu' was für die Leute!« - »Geh' raus, unter die Leute!« Ich weint immer noch. Aber inzwischen hört und fühlt man es nicht mehr so deutlich.
Plötzlich: »Was tue ich?« »Soll ich durchs Leben gehen und den Clown spielen?« - »Was mache ich, ich gehe auf Parties, die mir nicht gefallen?« - »Was mache ich eigentlich, ich bin mit Leuten zusammen, die mich langweilen?« - »Warum bin ich so hohl und leer?« Eine Muschel. Wie ist diese Muschel um mich herum gewachsen? Warum bin ich stolz auf meine Kinder und unglücklich über ihr Leben, das nicht gut genug ist? Warum bin ich enttäuscht? Warum fühle ich so viel Vergeudung?
Ich bricht durch, ein wenig. Für Augenblicke. Und wird vom anderen Ich zurückgestoßen.
Ich weigert sich, weiterhin den Clown zu spielen. Welches Ich ist das? »Sie war früher lustig, aber jetzt denkt sie zuviel über sich nach.« Ich läßt zu, daß Freunde wegbleiben. Welches Ich ist das? »Sie ist zuviel allein. Das ist schlecht. Sie verliert den Verstand.« Welchen Verstand?